Bisher
hatte ich schon reichlich von der Innenstadt Amsterdams gesehen. Ich
hatte gehört, dass es auch außerhalb sehr schöne Gegenden geben
sollte. Was lag da also näher, als meine direkte Nachbarschaft zu
erkunden?
Ich hatte mich entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten
nicht informiert und fuhr ohne Navi und ungeplant einfach drauf los.
Alles was ich wollte, war irgendwo auf einen Kanal oder See zu
treffen. Das geschah relativ schnell, schon nach wenigen Minuten
stieß ich auf den Nordhollandsch Kanaal, einem 75 km langen Kanal,
der vom IJ bis hoch nach Den Helder und dann in die Nordsee führt.
Ganz
so weit folgte ich ihm nicht, aber die Strecke war wunderschön. Ich
kam an Windmühlen vorbei, sah Schafe und Kühe, Fischreiher,und
natürlich jede Menge Enten. Angler saßen am Ufer und Boote
schipperten gemütlich über den Kanal. Es war die perfekte,
entspannte Tour am Sonntag vor meinem ersten Arbeitstag.
Am
nächsten Morgen war es soweit. Ich sollte schon um 8 Uhr da sein,
obwohl die Schulung erst um 9:30 Uhr begann. Aber ich hatte meinen
Arbeitsvertrag noch nicht unterschrieben, nur ein Art Vor-Vertrag
bekommen.
Mit
mir zusammen waren noch ein paar andere zukünftige Kollegen, die
ebenfalls die Einweisung bekamen und ihren Vertrag unterschrieben.
Wir
bekamen jeder eine Tasse und ein Band für unsere Badge und wurden
über einige wichtige Punkte informiert.
Ich
erfuhr, dass man sich in den Niederlanden nicht krank schreiben
lassen kann vom Arzt. Wenn man denkt, man kann nicht arbeiten, bleibt
man zuhause. Das war mal eine völlig neue Sache für mich.
Bei
meinem Arbeitgeber lief das so, dass man sich morgens telefonisch
meldete und die Info weiter gab, dass man zuhause blieb. Wenn man zum
Doc musste, oder einkaufen oder aus welchem Grund auch immer sein
Haus verließ, musste man noch mal anrufen. Es ist nämlich so, dass
der Arbeitgeber jederzeit einen Gesundheitsinspektor vorbei schicken
kann. Und wenn der kam und man war nicht zuhause, würde das 65 Euro
kosten. Man konnte sich auch von Freunden oder Familie etc. pflegen lassen. Man musste also nicht zwangsläufig zuhause bleiben, aber man
musste angeben, wo man war.
Ebenso
musste man sich jeden einzelnen Tag melden. Also Montags anrufen und
sagen, dass man für zwei, drei, vier Tage zuhause bleiben würde,
funktionierte nicht.
Ein
ziemlicher Unterschied zu Deutschland.
Zunächst
wurden wir mit einer anderen Schulungsgruppe, die für ein ähnliches
Projekt arbeiten würde, zusammen gebracht. Wir bekamen einen halben
Tag lang gemeinsame Informationen. Wie die Firma funktionierte, was
wichtig war, wer was zu sagen hatte... Der Site Director kam und
stellte sich vor, ein weiterer Trainer ebenso.
Wir
sollten uns gegenseitig vorstellen. Die Gruppe bestand aus den
unterschiedlichsten Nationalitäten. Ich war fasziniert von einigen
der Lebensgeschichten. Es gab einen australischen Arzt, der jahrelang
beim Militär war, dann die Welt bereist hatte und am Ende in
Amsterdam gelandet war. Hier konnte er aber nicht praktizieren, weil
er die Sprache (noch) nicht sprach.
Eine
junge italienische Frau war ihrem holländischen Freund hierher
gefolgt, um dann zu erfahren, dass er bereits seit Jahren eine
Freundin hier hatte, die er bisher immer verschwiegen hatte. Ein
Franzose war sieben Jahre lang gereist, hatte mal hier und dort
gearbeitet und hatte in Korea seine Traumfrau kennen gelernt, mit der
er jetzt in Harleem wohnte.
So
ging es weiter und weiter... ich kam mir auf einmal ziemlich
langweilig vor. Mein größtes Abenteuer war mein Umzug von NRW nach
Hessen, wo ich nicht mal besonders lange gelebt hatte, bevor ich
wieder zurück nach NRW gezogen bin. Ansonsten hatte ich meine gewohnte Gegend
nicht wirklich verlassen.
Später
wurden wir getrennt und lernten unseren Trainer kennen. Domenico, ein
Italiener, der schon viele Jahre in Amsterdam lebte.
Unsere
Schulungsgruppe hätte nicht perfekter sein können. Wir waren nur
sieben Personen, aber jeden einzelnen von ihnen Domenico inklusive, hatte ich schnell ins
Herz geschlossen, und das hat sich bis jetzt auch nicht geändert.
Die
eigentliche Schulung begann am nächsten Tag. Als alter Hase in
dieser Branche fand ich alles nicht besonders schwer. Am Anfang sieht
es immer ein bisschen viel und unübersichtlich aus, aber mir war klar,
dass ich das schnell verstehen würde.
Das
Wichtigste erklärte Domenico uns sofort: Jeden Freitag nach
Feierabend traf man sich zum Freitagabend Beer im Brets, einem Pub
neben dem Bahnhof Sloterdijk. Das war Tradition, da musste man sich ab
und zu sehen lassen. Gut zu wissen.
Auch
sonst schien meine neue Firma keine Gelegenheit zum Feiern
auszulassen. Es gab den Christmas Beep, also die Weihnachtsfeier, auf
der der Site Director sich als Weihnachtsmann verkleidete. Ich
stellte mir das bei einigen früheren Arbeitgebern vor...
Halloween
wurde auch gebeept, Sommer Beep war ein MUSS, und überhaupt, es
wurde gebeept, wann immer sich eine Gelegenheit bot.
Die
erste Woche verging schnell, und der Freitag noch schneller, da ich
an dem Tag nach Utrecht musste und somit die Arbeit früher verließ.
Meine
Kollegin Hannah hatte mir erzählt, dass sich die „Gemeente“
direkt gegenüber des Bahnhof Ausgangs befindet. Nur hat sie leider
nicht erwähnt, welcher Ausgang. Es gab mindestens drei. Und
natürlich nahm ich den, der aufgrund von Umbaumaßnahmen im Bahnhof
einmal quer durch ein Einkaufszentrum führte. Der Weg führte mich
an unendlich vielen Shops und Restaurants vorbei, bis ich endlich auf
einem Marktplatz wieder Tageslicht sah.
Ein
freundlicher Blumenhändler erklärte mir dann auf meine Nachfrage,
dass ich den Bahnhof leider auf der falschen Seite verlassen hatte.
Puh... also das gleiche nochmal. Quer durch das Einkaufszentrum,
vorbei an Shops und Restaurants, durch den Bahnhof, Tageslicht auf
der anderen Seite. Stimmt, direkt vor meiner Nase tauchte das
Stadthaus auf.
Dort
ging alles ohne Probleme. Ich hatte ja einen Termin, musste trotzdem
noch ein Nümmerchen ziehen und kurz darauf hatte ich meine BSN und einen offiziellen Brief vom Königreich der Niederlande in der Hand.
Ich war schon ein bisschen stolz.
Von
da aus fuhr ich zurück nach Amsterdam Noord. Mit meiner brandneuen
BSN eröffnete ich endlich das Konto (für nur 3,50 EUR bekam man
gleich eine Haftpflicht Versicherung dazu, ganz praktisch wenn man so
viel mit dem Rad unterwegs ist wie ich),
und machte mich wieder auf
den Weg nach Sloterdijk. Unser erstes Friday after work beer wollte
ich nicht verpassen, vor allem weil Domenico jeder neuen
Schulungsgruppe eine Runde Bier spendiert. :)
Da
ich fast nie Alkohol trinke, brauchte ich auch nicht mehr als dieses
eine Bier. Es wurde ein lustiger Abend.
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